- Seriennahes Showcar G 63 AMG 6x6: Die Wüste bebt
Dass die Offroad-Welt für den G 63 AMG 6x6 dort anfängt, wo andere Mobilien kapitulieren – Kettenfahrzeuge einmal ausgenommen – verraten schon die Eckdaten. Sechs angetriebene Räder, eine Geländereduktion im Verteilergetriebe, Portalachsen, fünf während der Fahrt sperrbare Differentiale und eine während der Fahrt bedienbare, aktive Reifendruckregelanlage, die in Rekordzeit den Druck in den riesigen 37-Zoll-Pneus variiert, sucht man bei herkömmlichen Geländewagen vergeblich. Daraus resultiert unter allen topografischen Verhältnissen eine gnadenlose Fahrdynamik. Selbst die höchsten Sanddünen erstürmt das Showcar mit Leichtigkeit und Sandpisten verlieren ihre Schrecken dank einer unerschütterlichen Spurstabilität. Felsiges Terrain wird in Gemsen-Manier erklettert, Wasserdurchfahrten gelingen angesichts der beachtlichen Wattiefe von einem Meter problemlos. Und wer die Performance onroad ausprobiert, wird von der katapultartigen Beschleunigung des 3,85 Tonnen schweren Pickups begeistert sein.
Trotz dieser einmaligen Antriebstechnik ist das Showcar keine technische Neuentwicklung im eigentlichen Sinne. Dank des nach 34-jähriger Bauzeit üppig gefüllten „G“-Baukastens kommen unter der Karosserie des G 63 AMG 6x6 fast ausschließlich Serienteile zum Einsatz. Beispiel Triebstrang: AMG V8‑Biturbo-Motor mit 544 PS sowie einem Drehmoment von 760 Newtonmetern, AMG SPEEDSHIFT PLUS 7G-TRONIC Automatikgetriebe, gepaart mit einem vorderen Antriebsstrang vom G 63 AMG und einem hinteren Doppeltriebstrang aus der 6x6-Version, wie er beispielsweise bei der australischen Armee zuverlässig seinen Dienst verrichtet. Zusätzlich die Portalachsen, die ihren Ursprung gleichfalls im dem militärischen Bereich haben und hier erstmals in einem Zivilfahrzeug zum Einsatz kommen.
Außen Macho – innen S-Klasse Optisch lässt der Pickup G 63 AMG 6x6 keine Zweifel an seiner Passion aufkommen. Sportlich-luxuriös gibt sich die Innenraumausstattung. Der G 63 AMG 6x6 bietet ein exklusives Ambiente in designo Leder, entweder in classicrot oder hellbraun mit individuellen Kontrastziernähten und attraktiver Rautensteppung. Hinzu kommen vier elektrisch verstellbare, beheizbare und belüftete Einzelsitze, eine besondere Mittelkonsole im Fond sowie Alcantara-Verkleidungen für den Dachhimmel und die Karosseriesäulen. Die Rückwand zur Ladefläche ist wiederum beledert.
Ob und wann die Entscheidung zur Kleinserienfertigung des Mercedes-Benz G 63 AMG 6x6 fällt, hängt von der Resonanz auf das seriennahe Showcar ab. (Quelle und Bilder: Daimler AG, "G 63 6x6")
- Die „Pagode“ – sportliche Tradition mit dem SL der Baureihe W 113
Im März 1963 feiert ein neuer SL auf dem Genfer Automobil-Salon seine Premiere: Mercedes-Benz präsentiert einen Sportwagen, der gleich zwei Modelle ersetzen soll. Der Typ 230 SL, intern W 113 genannt, tritt ein schweres Erbe an: Zum einen, weil seine beiden Vorgänger, die Typen 300 SL (W 198) und 190 SL (W 121), von Anfang an sehr beliebt und erfolgreich waren, zum anderen weil beide Automobile – trotz aller Ähnlichkeit – zwei grundverschiedene Fahrzeugkonzepte repräsentierten. Mit dem neuen Modell wird ein Mittelweg eingeschlagen: Der Mercedes-Benz 230 SL ist weder ein kompromissloser Roadster noch ein allzu sanftmütiger Prachtstraßen-Sportwagen, sondern vielmehr ein komfortabler, zweisitziger Reisewagen mit hohen Fahrleistungen und vorbildlicher Fahrsicherheit. Die Diskussion um den wahren Geist eines Sportwagens verstummt erst, als der neue 230 SL schon in den ersten Tagen seines Daseins handfeste Sporterfolge wie den Gewinn der Rallye Spa – Sofia – Lüttich unter Eugen Böhringer/Klaus Kaiser nach Hause fährt.
Die ersten gedruckten Werbeanzeigen für den neuen Mercedes-Benz 230 SL spielen ebenfalls die Themen Sportlichkeit und Reisekomfort: Rennfahrerhelm und Melone stehen sinnbildlich für den neuen Wagen. Das Bedürfnis, der Beste zu sein Von oben nach unten gerichtet ist der Blickwinkel für den Betrachter einer englischsprachigen Werbeanzeige. Hier werden die Gefühle angesprochen, die Reiter auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes erleben:
Die Sehnsucht nach Kraft, Geschwindigkeit und Rhythmus und das Bedürfnis, der Beste zu sein („One-upmanship“): All dies soll der Sportwagen mit dem großen Stern auf dem Kühlergrill ebenfalls bieten. Der Mercedes-Benz 230 SL verbindet Kraft, Qualität und Stil. Sicherheit, Komfort, Wirtschaftlichkeit und Legendenbildung In den 1950er- und 1960er-Jahren ist es üblich, Frauenbilder in der Kommunikation einzusetzen. Häufig als lächelnde Beifahrerin, die den weitgereisten Herrn auf seinen Spritztouren begleitet – aber auch als selbstbewusste Selbstfahrerin hinterm Lenkrad. Während der männlichen Kundschaft automobile Fachkompetenz unterstellt wird, interessiert man die Damenwelt in zunehmendem Maße für die Themen Sicherheit, Komfort und Wirtschaftlichkeit.
Die Furcht vor dem Einparken nehmen möchte Mercedes-Benz mit einem Motiv, das eine Frau im Mercedes-Benz 230 SL bei eben diesem Fahrmanöver zeigt. Die umfangreichen Sonderausstattungen wie Servolenkung und Automatikgetriebe erhöhen demnach den „Spaß, einen Mercedes-Benz zu fahren“. Mit offenem Verdeck sogar im Getümmel der Großstadt.
„Lohnt es sich heute noch, einen sportlichen Wagen zu fahren?“, lautet die sich quasi von selbst beantwortende Anzeige aus dem Jahr 1965. Eine Frage, die den Fahrer eines "Roadsters mit Stern" bis zum heutigen Tag begleitet. Im Text zur Pagode wird erläutert, dass die Sicherheit des Mercedes-Benz 230 SL größer ist als seine Schnelligkeit und dass er „technisch perfekt (für den Mann) und spielend leicht zu fahren (für die Frau)“ sei. Einen seiner seltenen Werbeauftritte hat der 280 SL gemeinsam mit dem berühmten Mercedes-Benz 300 SEL 6.3, eine Limousine mit sportwagenähnlichen Fahrleistungen: „Der eine ist ein Sportwagen mit Limousinen-Komfort, der andere eine Komfort-Limousine mit Sportwagenleistung. Wählen Sie.“ So einfach kann Auto-Werbung sein, wenn man "nur" 15 Fahrzeugmodelle im Angebot hat. Heute wäre das irgendwie schwieriger...
Ein Einzelstück der "Pagode" entsteht Mitte der 60er Jahre. Bei den Sechszylindermotoren gibt es zu dieser Zeit den 2,5-Liter-Motor M 129 mit 150 PS und den vom Dreilitermotor M 186 des Typ 300 abstammenden Motor M 189 mit 170 PS. In der Repräsentations-Limousine Mercedes-Benz 600 (W 100) ist der 6,3-Liter-V8-Motor mit 250 PS Leistung und einem Drehmoment von 500 Newtonmetern eingebaut. Der Ingenieur Waxenberger implantiert auch in der Pagode den V8-Motor. - allerdings gestaltet sich dieses Unterfangen noch schwieriger als der Einbau in eine Limousine. Denn die Motorenbucht des SL ist deutlich kleiner. Es sind umfangreiche Schweiß- und Verlegungsarbeiten im Rahmenbereich durchzuführen, um den breiten und langen Achtzylindermotor einzupassen. Von außen ist diese besondere „Pagode“ nur an der breiter ausgefallenen Ausbuchtung der Motorhaube zu erkennen, dem „Powerdome“, der in diesem Fall seinem Namen alle Ehre macht.
Bei den Tests am Nürburgring sind die Vorderreifen nach neun Runden Nordschleife verschlissen, die Hinterreifen nach 16 Runden, die Zeiten waren recht ordentlich. Trotz dieses erfolgversprechenden Debüts des leistungsstarken SL: Er wird nicht zum Serienfahrzeug weiterentwickelt. Die Chance der Serienrealisierung bleibt diesem Projekt allerdings verwehrt. Die hohe Vorderachslast durch den schweren Motor und die bereits auslaufende Eingelenk-Pendelachse stehen dem im Wege. Der Erprobungsträger wird im Werksbesitz verschrottet. Es soll bis zum Erscheinen der Baureihe R 107 im Frühjahr 1971 dauern – er ist der erste SL, der mit Achtzylindermotoren angeboten wird.
Sicherheit heißt die neue Vokabel Die „Pagode“ ist der erste SL, bei dem sich zur Schnelligkeit die Sicherheit gesellt.
Da seine Basis die Bodengruppe der berühmten „Heckflossen“- Baureihe W 111/112 ist, des weltweit ersten Automobils mit Sicherheitskarosserie, bietet auch der 230 SL eine steife Fahrgastzelle und Knautschzonen mit verformbaren Bug- und Hecksegmenten. Der Innenraum ist wie bei der Limousine „entschärft“, es gibt keine harten Ecken und Kanten; Sicherheitsgurte sind, wie beim Vorgänger, als Sonderausstattung erhältlich.
Von Forschung in Sachen Sicherheit erzählt auch diese Pagode Wer dieses Modell zum ersten Mal sieht, stellt sich die Frage, ob man eine solch knallige Farbe für einen automobilen Klassiker verwenden "darf". Das Pagodencenter Stickel (www.pagodencenter.com) hat sich das aber nicht ohne Grund getraut. Denn beim Kauf war diese Pagode dank starker Verwitterung nicht mehr so restaurierbar, dass man sie als "Original" hätte bezeichnen können.
Als Spezialist auf dem Gebiet fiel dem Inhaber Joachim Stickel ein Bild aus den 1960er Jahren in die Hände. Hier ist zu sehen, dass Mercedes-Benz in diesen Jahren, in denen die Sicherheit als völlig neues Thema entdeckt wurde, mit Leuchtfarben an der Pagode experimentiert hat. Es sollte erforscht werden, ob sich diese Leuchtfarbe positiv auf die Unfallbilanz auswirkt. Und obwohl man auf dem alten Bild deutlich den Kontrast zu den anderen, meist grauen Fahrzeugen gut erkennt, hat sich die Farbe nicht durchgesetzt. Und so ist diese Pagode zwar nicht original, aber sie erzählt ein Stück Geschichte dieser Modellreihe und ist "lebendiges" Ausstellungsstück der Sicherheitsforschung in den 60er Jahren.
Automatik-Getriebe und Klimaanlage halten Einzug in einen Roadster Ab Januar 1966 steht ein Fünfgang-Schaltgetriebe (von ZF) zur Verfügung, und wer seinen Komfort auf die Spitze treiben will, bedient sich der als Sonderausstattung lieferbaren Automatik. Bei Auslauf der „Pagode“ liegt der Automatik-Anteil sogar bei rund 77 Prozent. Das hatte es in der "Roadster-Klasse" bisher nicht gegeben. Ähnliches gilt für die Servolenkung. Sie ist ebenfalls nicht serienmäßig. Eine weitere, bis dahin für einen Roadster undenkbare Zusatzausstattung ist die Klimaanlage, die auf dem amerikanischen Markt viele Käufer findet. Die USA sind sogar Quelle für den Namen eines Sondermodells: „California-Coupé“ heißt bei Mercedes-Benz jene Ausführung des Roadsters, die mit zwei Notsitzen an der Stelle des Verdecks angeboten wird. Diese Version kann nur offen oder mit Hardtop gefahren werden. (Quelle: Daimler AG, "Sportwagen mit Sicherheitskarosserie", "sportliche Gene", "SL Werbung", "W113 Achtzylinder", Bilder Daimler AG) |